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Digitale Union

„Lernen ist eine Last, statt eine Lust!“

Thorsten Bund ist Bildungsunternehmer, Diplom-Pädagoge, Systemischer Berater und Systemischer Supervisor.

Was bedeutet für Sie der Begriff Digitalisierung?

„Der Begriff ‘Digitalisierung’ ist zunächst einmal nichts anderes als ein Prozess, der beschreibt, wie sich Kommunikation, Arbeitsprozesse und auch durchaus private Abläufe verändern. Gleichzeitig ist dies aber kein Phänomen, welches sich jetzt erst in den letzten Monaten einstellt, sondern dieser Prozess hat eigentlich bereits in den 80ern mit Entwicklung der CD begonnen. Die Kommunikationsplattformen WhatsApp, Facebook, Twitter, Insta & Co. stellen nur weitere Entwicklungsstufen dar. Die Gefahren, die sich dahinter verbergen, sind lange nicht ernst genommen worden, da ausschließlich deren Effektivität und Effizienz im Vordergrund stand. Seit Ausbruch der Pandemie wird deutlich, was passiert, wenn diese Entwicklung, stetige Zunahme des Digitalisierungsgrades und Ausbau und Perfektionierung virtueller Räume, bei gleichzeitig abnehmender persönlicher und unmittelbarer Kommunikation sich beschleunigt. Der Mensch ist ein soziales Wesen und auf persönlichen Kontakt und Austausch angewiesen. Fehlt dieser Faktor, erkrankt der Mensch. Genau dies gilt es, zu verhindern.“

Sie setzen sich leidenschaftlich für eine bessere Bildung in Deutschland ein. Wie ist aus Ihrer Sicht der Ist-Zustand an deutschen Schulen und Universitäten – und wie sieht für Sie der Optimalzustand aus?

„Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler und Bildungspraktiker gleichermaßen und ist von mir nicht mal eben in kurzen Sätzen zu beantworten. Ich kann sicherlich auszugsweise aufzeigen, was aus meiner Erfahrung heraus in den vergangenen Jahren praktisch, wie politisch versäumt wurde, aber um dieses Thema umfänglich zu erörtern reicht die Zeit und der Platz leider nicht aus. Somit also vielleicht soviel:

Bildung ist die Basis unseres gesellschaftlichen (Zusammen-)Lebens und kann nur gelingen, wenn sie dem Wandel der Zeit adäquat folgt. Dies ist in der Vergangenheit unberücksichtigt geblieben. Bildung wird sich künftig in einer veränderten Form präsentieren müssen. Dabei ist das Ziel, Kinder und Jugendliche frühzeitig an und durch Eigenverantwortlichkeit und Reflexion reifen zu lassen. Die Welt wird zunehmend globalisierter, komplexer und insbesondere digitale/virtuelle Umgebungen verlangen eine immer schnellere Informationsaufnahme, -analyse und -bewertung. Gleichzeitig ist eine bildungspolitische Inflation festzustellen, in der Anforderungen immer weiter gesenkt werden, um Eingangsqualifikationen zu erlangen oder auch zu erfüllen, die den Zugang zu genau dieser rasant schneller und komplexer werdenden Welt ermöglichen sollen. Die Informationsmenge steigt, die zur Verarbeitung zur Verfügung stehende Zeit nimmt ab, gleichzeitig sinkt die Halbwertzeit erworbenen Wissens.

Wenn jedoch die Anforderungen gesenkt werden, um ursprüngliche Schlüsselqualifikationen zu erlangen, könnte man schlussfolgern, dass entweder die Zielgruppen mit veränderten Eingangsqualifikationen (kognitive/mentale Leistungsfähigkeit) ausgestattet sind, sich die Zusammenstellung/Zusammensetzung der Lerngruppen verändert hat oder die zu erwerbenden Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen zur Bewältigung aktueller Alltagsaufgaben nicht passend sind. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass alle im Bildungssektor Beteiligten höchstbemüht sind, ihre Kernaufgaben zu erfüllen. Oft werden die Rahmenbedingungen den Lernprozess unterstützenden Ansprüchen nicht gerecht. Innovative und förderliche Bildungskonzepte berücksichtigen individuelle Entwicklungs- und Lernstände. Eine ‘Alle-sind-gleich’-Philosophie bereitet offensichtlich den Lehrenden und Lernenden so viel scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten, dass einerseits Lernsituationen zu Aversionen mit durchaus pathologischen Zügen führen, andererseits das Image der Lehrenden (Lehrerberuf) schwerwiegend leidet! Lernen ist eine Last, statt eine Lust! Es sind nicht alle Lernenden gleich – mithin alle Lernenden sind verschieden! Sie sind unterschiedlich reif, kognitiv unterschiedlich schnell und unterschiedlich begabt. Diesen Talenten und Potenzialen gilt es gerecht zu werden, gleichzeitig ist die Wertschätzung von Menschen nicht daran festzumachen, wie talentiert sie für bestimmte Fähigkeiten oder Fertigkeiten sind. Die Vermittlung dieser Haltung ist eine Kernaufgabe von Lehrkräften und innovativer Bildungspolitik, gleichzeitig muss der Rahmen für Entwicklung und Kontinuität (Anpassungsfähigkeit/Anschlussfähigkeit/proaktiv) gegeben sein.

Welches Schulfach würden Sie einführen, um Kinder besser für einen digitalisierten Arbeitsmarkt vorzubereiten?

Auch diese Frage ist nicht mit einem Begriff zu beantworten. Es geht nicht wirklich um ein Schulfach, es geht um eine Haltungsänderung, die angeschoben werden muss, um dieser – wie oben beschrieben – Welt künftig angemessen zu begegnen und in ihr gesund zu bleiben. Welche Fächer es künftig geben sollte, um diesen Schritt zu vollziehen, könnten zum Beispiel sein:

  • Kreativität/Flexibilität
  • Empathie/Abgrenzung
  • Selbstorganisation/Selbstkontrolle
  • Fähigkeit zur Entscheidungsfindung
  • Sinnfindung/Zielfindung
  • Naturwissenschaft/Technik (MINT)
  • Fremdsprachen
  • Schreiben/Schrift als Kulturgut, Ausdrucksform und Kommunikationsform
  • Regeln des Zusammenlebens (Sozialethik)

Das wären für mich neue Themen, die sich im Unterricht künftig wiederfinden müssten, um nicht nur dem digitalisierten Arbeitsmarkt gerecht zu werden, sondern um in der Persönlichkeitsentwicklung so stabil aufgestellt zu sein, um den Anforderungen, die das Leben an uns künftig stellt, gewachsen zu sein. Und dabei hilft mir nicht zwangsläufig ein Fach ‘Digitalisierung’ oder ‘Informatik’. Das Leben ist nicht wie eine Excel-Tabelle und lässt sich nicht immer durch das Sammeln und Verarbeiten von Metadaten in eine Eintretenswahrscheinlichkeit umrechnen.

Ich wünsche mir viel mehr ‘aufeinander-zugehen”, ‘miteinander-füreinander’, ‘Verständnis und Wertschätzung’. Kernaussage: Menschen werden nicht an ihrem wirtschaftlichen Leistungsvermögen gemessen, sondern Wertschätzung gilt ihrer Persönlichkeit. Und damit ist es unerheblich, wie viel jemand materiell leistet. Unterm Strich muss sich jedes Individuum darüber im Klaren sein, dass es Teil einer Gesellschaft ist. Dieser Gesellschaft kann es nur gut gehen, wenn die Mehrheit die Gesellschaft entwickelt und voranbringt. Eine reine ‘Nehmergesellschaft’ wird sich nicht erhalten können.“

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